Thorsten Anthes, Annette Fischer, Inga Freund, Lars Grau, Ben Gronert, Christina Seitz, Phillip Winter
Eines der am häufigsten genannten Schlagworte zum Thema Internet ist - spätestens seit der Entwicklung hin zum "Mitmachnetz" (social web) - die Schwarmintelligenz. Die gemeinschaftliche Produktion von Wissen bzw. das Zusammentragen von Erfahrungen Vieler ist Grundlage oder zumindest Teilbestandteil fast aller Internetplattformen und Dienste; ob Bildblog, arabischer Frühling oder Produktbewertungssysteme: Die anonyme Masse wird zum vermeintlichen Korrektiv gegen eine von Partikularinteressen getriebene und mit individueller Macht ausgestattete informationelle Beeinflussung - und gewinnt so Ihre Freiheit zurück. Vor allem für junge, gut ausgebildete "digital natives" resultieren diese Mechanismen in einer Art Grundvertrauen in das Netz und seine Möglichkeiten.
Das hier skizzierte Freiheitsideal stellt sich aber, wie so oft, im Einzelfall als einigermaßen unbrauchbar dar. Das Netz ist nach wie vor offen für Machtmissbrauch und Manipulation, nicht zuletzt weil die Ungleichverteilung technischer Fähigkeiten wieder neue Machtasymmetrien etabliert; von Monopolen wie im Falle Google ganz zu schweigen.
Vor allem jedoch ist auch das Anonymitätsprinzip offenkundig ein zweischneidiges Schwert, zumal auch die Masse nur eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne hat; so wird beispielsweise nicht jedes Produkt von vielen tausend Nutzern kommentiert und bewertet; dies führt dazu, dass sich Bewertungen schon mit verhältnismäßig geringem Aufwand im Sinne der (Produkt-) Anbieter manipulieren lassen. Tatsächlich soll, einer aktuellen Studie zufolge, jede vierte Produktbewertung im Internet gefälscht sein. Dass Onlinebewertungen für eine große Mehrheit (73% nach einer amerikanischen Studie) mittlerweile das entscheidende Kriterium für Kaufentscheidungen sind, macht Manipulation an dieser Stelle nicht nur besonders attraktiv, sondern entlarvt das entgegengebrachte Vertrauen auch als reichlich naiv. Was wiederum all jene bestätigt, die dem neuen Medium seit jeher skeptisch gegenüberstehen.
Während die negativen Konsequenzen gefälschter Produktbewertungen allerdings meist rein materieller Natur sind, ist das Risiko in anderen Fällen ungleich höher. Sobald sich ein gewährter Vertrauensvorschuss nicht nur im (Internet-) Handel mit Produkten und Dienstleistungen bewähren muss, sondern sich - wie im Falle von Dating-Seiten und Mitfahrzentralen - auch auf face-to-face Interaktionen erstreckt, steht die körperliche und psychische Integrität der Beteiligten auf dem Spiel.
Doch trotz dieser Risiken gewinnen auch solche Dienste immer mehr Nutzer. So auch im Falle der Online-Community Couchsurfing, einer Plattform zur Aushandlung von Fremdübernachtungen. Unter Einsatz verschiedener Mechanismen wie Nutzerbewertungen, Selbstdarstellung und Identitätsverifikation lässt sich - ganz ohne jemals in eine face-to-face Interaktion eingetreten zu sein - ein offenkundig belastbares Vertrauensverhältnis entwickeln, dass auch vor der eigenen Haustür keinen Halt macht.
Doch welche Personengruppen betreiben überhaupt "Couchsurfing", und wie homogen sind diese? Wie wird Vertrauen zwischen Couchsurfing-Mitgliedern konstruiert, und welche Rolle spielt an dieser Stelle die Technik? Spiegeln sich positive Erfahrungen im Umgang mit dieser Plattform in einem starken (personenbezogenen) generalisierten Vertrauen wieder, und lassen sich diesbezüglich Unterschiede zu Nicht-Couchsurfern nachweisen?
Diesen und weiteren Fragen wollen wir nachgehen, indem wir geläufige soziologische Kategorien von Vertrauen im Umfeld eines internetgestützten sozialen Netzwerkes wie Couchsurfing anwenden und dabei unter Zuhilfenahme einer größeren Erhebung auf ihre Tauglichkeit hin überprüfen. Der Schwerpunkt unseres Vorhabens liegt dabei auf der Betrachtung des fragilen Prozesses der Vertrauensgenerierung in sozialen Beziehungen.
Unterstützt von: Prime Research